Aktuelles

ECHO: Erbärmliche Ansätze


     

Erbärmliche Ansätze

Gemeinde Mieming. Bei der Aufarbeitung der Agrargemeinschaftsgeschichten zeigt die Gemeinde Mieming, dass sie noch immer nicht zum Bekenntnis „Recht vor Macht" fähig ist. Diese Unfähigkeit kostet die Gemeinde viel Geld. Wieder.

Mittwoch, den 01. Dezember 2010 um 13:36 Uhr



Es ist ein Ziel, welches – weil es selbstverständlich sein sollte – nur unter Umständen als edel bezeichnet werden darf. Bei despotischen Staaten etwa, die außerhalb jeglicher Menschenrechte agieren. „Recht vor Macht" ist nicht umsonst ein Leitsatz des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, ein Bekenntnis, das den negativen wie positiven Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts Rechnung trägt. In einem humanitären, aufgeklärten, rechtsstaatlichen und menschlichen Sinn. In „großen" völkerrechtlichen Zusammenhängen kommt es bezüglich dieses Bekenntnisses immer wieder zu Diskussionen, Auseinandersetzungen und Reibereien, doch die Richtung ist klar. Ein Zurück nicht denkbar.

In vergleichsweise „kleinen" Zusammenhängen wird das Urbekenntnis aufgeklärter Staaten kaum erwähnt. Dabei macht es durchaus Sinn, die drei Worte selbst bei Entscheidungsfindungen auf kleinerer und kleinster Ebene zu hinterfragen. Vor allem in der Geschichte der Tiroler Gemeindeguts-Agrargemeinschaften hat das Land Tirol mehrfach bewiesen, dass es nicht von diesem Bekenntnis geleitet wird. Nein, diese Geschichte zeigt deutlich, dass das Land Tirol das Gegenteil zum Leitsatz hatte und vielfach noch hat. Das Bekenntnis „Macht vor Recht" stand am Beginn, damals, als den betroffenen Gemeinden ihr Grundeigentum genommen und einer Handvoll mächtiger Bauern gegeben wurde. Das Bekenntnis „Macht vor Recht" führte dazu, dass das erste Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 1982, in dem der schon legendäre Raubzug als verfassungswidrig erkannt worden war, über 20 weitere Jahre ignoriert werden konnte. Aktuell führt das Bekenntnis „Macht vor Recht" dazu, dass Land und – was in dem Zusammenhang noch düsterer erscheint – die Justiz tatenlos mitansehen, wie der Raub perfekt gemacht wird. Nur so ist möglich, dass die Gemeinde Mutters mit ihrer rechts- und gesetzeskonformen Haltung gegenüber den Agrargemeinschaften zweieinhalb Jahre nach dem zweiten VfGH-Erkenntnis und zehn Monate nach Inkrafttreten des novellierten Flurverfassungslandesgesetzes (TFLG) eine einsame Ausnahme bildet (siehe Interview Seite 12). Nur weil in Tirol das Bekenntnis „Recht vor Macht" so fremd ist und immer noch ein edles Ziel, ist möglich, was in der Gemeinde Mieming passiert. Dort wurde und wird weiterhin das Gegenteil zelebriert. Mit altbekannter Agrarier-Arroganz und ohne Rücksicht auf Verluste.

Die Abrechnung. Die Gemeinde Mieming – würde sie sich denn als Gemeinde verstehen und nicht, quasi in posthumem Gehorsam gegenüber ihrem berühmtesten Sohn, als Vertretungskörper agrarischer Machtstrukturen – hat durch den Agrargemeinschafts-Raubzug enorm viel Geld verloren. Allein die Agrargemeinschaften Obermieming und Barwies haben Gemeindegrundstücke im Ausmaß von rund 700.000 Quadratmetern verkauft. Der aktuelle Verkehrswert für diese Flächen beträgt – multipliziert mit dem aktuellen Quadratmeterpreis von 250 Euro – 175 Millionen Euro. Selbst wenn versucht wird, sich dem Nominalwert anzunähern und dabei zuvorkommend für jene, die angesichts der gigantischen Summe japsen, ein durchschnittlicher Quadratmeterpreis von nur 30 Euro angenommen wird, wären über die Jahre 21 Millionen Euro auf dem Konto der Gemeinde gelandet.

Wie auch immer man es dreht oder wendet oder rechnet, die vielen Millionen, welche allein die Mitglieder zweier Mieminger Agrargemeinschaften mit dem Verkauf fremder Gemeindegrundstücke zu Unrecht eingenommen haben, fehlen der Gemeinde. Mehr noch. Dadurch, dass sie sich ja um die infrastrukturelle Erschließung dieser Baugrundstücke kümmern musste und die Finanzierung derselben nicht aus dem Ärmel schütteln konnte, belastete die Gemeinde entweder über Ausgleichszahlungen und Bedarfszuweisungen den Staatshaushalt oder durch Darlehensaufnahmen kommende Mieminger Generationen. Wird „Macht vor Recht" gelebt, hat das nicht nur rechtstheoretische Auswirkungen. Dafür zahlen alle. Nicht alle. Alle anderen. „Wäre die Gemeinde Eigentümerin und Nutznießerin ihres Grundvermögens geblieben, hätte sie alles Mögliche, ohne groß Schulden zu machen und damit kommende Generationen zu belasten, finanzieren beziehungsweise abwickeln können. Davon bin ich überzeugt", sagt der Mieminger Gemeinderat Ulrich Stern.

Noch eine Rechnung gefällig? Per 31. Dezember 2009 belief sich der Gesamtschuldenstand der Gemeinde Mieming auf 2.452.992,64 Euro. Diese muss die Gemeinde abstottern, was – auch die Landeshauptleutegemeinde bleibt von den Auswirkungen der immer mieser werdenden Gemeindeeinnahmen nicht verschont – immer schwerer wird. Otto Thaler, der bislang ungeschlagene Bereicherungs-Kaiser im Agrargemeinschaftsdschungel, hatte in den 1990er Jahren mit dem Verkauf von Gemeindegrundstücken rund eine Million Euro eingenommen. Eine seiner Schwestern, die mit Landwirtschaft nie etwas am Hut hatte und nur, weil sie eben Schwester des langjährigen Obmannes der Agrargemeinschaft Obermieming ist, an der Quelle saß, verkaufte in den letzten Jahren Gemeindegrundstücke im Wert von rund 1,4 Millionen Euro. Allein wenn der Gewinn dieser Geschäfte auf dem Konto der Gemeinde Mieming und nicht auf zwei Privatkonten der Thaler'schen Clique gelandet wäre, hätte die Gemeinde gar keine Schulden. Und müsste weder stottern noch abstottern.

Was in den vergangenen 60 Jahren in Mieming und anderswo geschah, bleibt unfassbar. Die Bereicherung Einzelner im bäuerlichen Machtklüngel – der Diebstahl, wie es LH-Stv. Hannes Gschwentner bezeichnete – bleibt mit rechtschaffenem Zugang nicht zu verstehen. Dass sich die Haltung des Mieminger Gemeinderats gegenüber dem von Gier gezeichneten Unrecht und der so prachtvoll gelebten Ungleichheit der Gemeindebürger auch heute noch am Prinzip „Macht vor Recht" orientiert, scheint jedoch unverzeihlich.

Die Vernebelung. „Nach wie vor wird vernebelt, getäuscht und getarnt", so Stern. „Sie tun gar nichts, verbreiten Halb- und Unwahrheiten. Das Bisschen an offiziellen Aktionen, die wir einsehen können, ist schon erbärmlich genug. Was hinten herum läuft, wissen wir nicht." Stern, der vor der letzten Gemeinderatswahl eine eigene Liste gegründet hat, zwei Mandate erringen konnte und in seinem Ansinnen, die drückenden Agrarfragen zu klären, von Neo-Bürgermeister Franz Dengg teils an der Nase herumgeführt, teils im Kreis geschickt wird, stößt mit seiner Forderung nach Aktionen und Transparenz ständig an Mauern. „Es wurde bis dato nicht der geringste Schritt gesetzt, die Ansprüche der Gemeinde gegenüber den Agrargemeinschaften zu wahren", sagt er. „In diese Richtung ist überhaupt kein Ansatz zu bemerken. Das ist aber logisch, weil Bürgermeister Dengg das Sprachrohr der Agrargemeinschaften ist. Er ist unter diesem Titel angetreten und verhält sich dementsprechend."

Trotz der amtswegig eingeleiteten Neuregulierung der Mieminger Agrargemeinschaften, die offensichtlich im Landhaus vor sich hin dümpelt, müsste die Gemeinde ihre Hausaufgaben erledigen und beispielsweise herausfinden, wie viel aus Gemeindegut lukriertem Geld die Agrargemeinschaften noch haben und es von ihnen einfordern. Tut sie aber nicht. Zumindest ist im Gemeinderat nichts davon zu vernehmen. Und diesbezügliche Fragen wurden ECHO nicht beantwortet, weil Dengg selbst im Urlaub weilte und sein Stellvertreter, Klaus Scharmer, nicht antworten wollte, konnte oder durfte. Warum wartet die Gemeinde? Warum bemüht sie sich nicht, ihr zustehende Gelder einzufordern und damit das Budget aufzufetten? Warum ist es so, dass gewissenhafte Gemeindebürger und Gemeinderäte, die die Ansprüche der Gemeinde geltend machen wollen, als Störenfriede hingestellt werden? „Macht vor Recht!" Darf das sein? Immer noch und weiterhin auf Kosten der Allgemeinheit?

„Die Gemeinde muss ihre Ansprüche stellen. Wenn dann nichts mehr zu bekommen ist, okay, aber das menschenmögliche muss getan werden", ist Stern überzeugt und sagt auch: „Die politisch großen Nutznießer des ganzen Systems müssen genauso zur Verantwortung gezogen werden – und wenn es das Land ist und Amtshaftung schlagend gemacht werden muss."

Eine einzige Mieminger Agrargemeinschaft ist bislang der Aufforderung gefolgt, ihre Jahresrechnung vorzulegen. Ohne Hemmungen boxte Bürgermeister Dengg die Genehmigung dieser Jahresrechnung im Gemeinderat durch. Vollkommen unbeeindruckt davon, dass der Gemeinde dadurch allein 2009 ein mutmaßlicher Schaden in Höhe von 60.000 bis 70.000 Euro entstanden ist. Diese Geschichte wurde der Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt, doch die Hoffnung darauf, dass die Justiz für jene Gerechtigkeit sorgt, welche die agrarlastigen Gemeinderäte mit Füßen treten, ist verschwindend klein. Darauf deutet auch die Haltung Josef Rauchs hin, der Mieminger Gemeinderat sowie Staatsanwalt ist, beide Funktionen aber nicht miteinander verquicken will (siehe Kasten „Zurückhaltung") und die Augen verschließt.

Noch unter Denggs Vorgänger waren im Mai 2009 die Mieminger Agrargemeinschaften zu einem Sitzungsreigen geladen worden. Dabei legten sie ihre Guthaben – mehr oder weniger vollständig – offen und in Summe stellte sich ein Gesamtbetrag in Höhe von rund 1,4 Millionen Euro heraus. Die Einnahmen aus Pachtverträgen beliefen sich auf etwa 74.000 Euro und allein auf dem Treuhandkonto der Agrargemeinschaft Untermieming sollen aus Grundverkäufen erzielte Einnahmen in Höhe von 250.000 bis 300.000 Euro gelegen sein. Sollte sich die Gemeinde irgendwann zu einem Kassasturz durchringen, wird spannend, was rauskommt beziehungsweise übrig geblieben ist. „Man darf ihnen nicht die Ehre lassen", ist Ulrich Stern überzeugt. „Es muss als Gaunerei dastehen. Dieses scheinheilige Volk darf nicht als das heilige Volk gelten." Weil „Recht vor Macht" eine Selbstverständlichkeit sein sollte und das Gegenteil unmöglich. Alexandra Keller

 

Zurückhaltung

Im Mieminger Gemeinderat ist mit dem parteiunabhängigen Gemeinderat Josef Rauch ein bekannter Tiroler Staatsanwalt vertreten. Nachdem die Staatsanwaltschaft Innsbruck sich im Zusammenhang mit den Tiroler Gemeindeguts-Agrargemeinschaften und den teils offenkundigen mutmaßlichen Rechtsbrüchen äußerst zurückhaltend bis nicht vorhanden zeigt, konfrontierte ECHO Staatsanwalt Rauch mit einigen Fragen zum Thema. Auch weil die Gemeinde Mieming sich seit der Gemeinderatswahl als massiv agrargemeinschaftsfreundlich erweist und wegen der Auswirkungen dieses Verhaltens gleich mehrfach bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt wurde.

Von Rauch nun wollte ECHO beispielsweise wissen, ob die Gemeinde Mieming alle ihr möglichen Schritte gesetzt hat, um ihre Ansprüche gegenüber den Agrargemeinschaften zu wahren oder ob der Bürgermeister der Gemeinde Mutters mit der Fälligstellung der Gelder, welche der Gemeinde zustehen, seiner juristischen Einschätzung nach so gehandelt hat, wie ein Bürgermeister handeln müsste. Eine Frage bezog sich auf das Gutachten Professor Andreas Scheils und den sich daraus ergebenden zwingenden Verhaltensweisen für die Mieminger Gemeindevertreter, eine weitere bezog sich auf die vom Gemeinderat abgesegnete Jahresrechnung der Agrargemeinschaft See/Tabland/Zein, mit der die Gemeinde möglicherweise um weitere 60.000 bis 70.000 Euro geschädigt wurde und die Thema einer Anzeige bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft ist. Die letzte Frage lautete schließlich: „Ist es Ihnen in Ihrer Doppel-Funktion als Staatsanwalt und Gemeinderat je in den Sinn gekommen, die Geschäfte der Agrargemeinschaften Mieming näher zu durchleuchten und gegebenenfalls Ihnen mögliche Schritte zu setzen (wenn ja, mit welchem Ergebnis; wenn nein, warum nicht)?

 

Hier die Stellungnahme Josef Rauchs:

„Zunächst halte ich fest, dass meine Tätigkeit als Gemeinderat in Mieming überhaupt nichts mit meiner beruflichen Tätigkeit als Staatsanwalt in Innsbruck zu tun hat. Vielmehr ist es so, dass ich mich aufgrund meiner ständigen Beschäftigung als Gemeindemandatar mit Agrargemeinschaftsfragen (die im übrigen auch immer wieder Gegenstand von Anzeigen waren) aus gesetzlichen Gründen jeglicher beruflicher Befassung zu enthalten habe und auch in Zukunft werde. Eine solche Vorgangsweise ist nämlich gesetzlich vorgeschrieben, um den Eindruck von Voreingenommenheit und Befangenheit zu vermeiden.

Aus diesem Grunde werde ich daher auch nicht auf die von Ihnen aufgeworfenen strafrechtlichen Aspekte eingehen. Sollten hierzu zu konkreten Verfahren Fragen sein, so wolle mit dem Mediensprecher der StA Innsbruck, Mag. Mayr, Kontakt aufgenommen werden. Ausdrücklich halte ich allerdings fest, dass ich mich gemeinsam mit meiner (im übrigen völlig parteiunabhängigen) Gemeinderatsliste konsequent und zum Wohle der Gemeinde für die Umsetzung des Verfassungsgerichtshofsurteils aus dem Jahre 2008 zum Thema Agrargemeinschaften bemühe."