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TT: Aufstand gegen den Rechtsstaat

Tiroler Tageszeitung, Printausgabe vom Mo, 07.11.2011 Titelseite
Agrar-Aufstand gegen Politik
Mils – Gestern abend wurde in Mils der Agrargemeinschaftsverband West gegründet. Der Verein sieht sich als Interessenvertretung von 18.000 Agrargemeinschaftsmitgliedern und will das Eigentum der Agrargemeinschaften vor dem Zugriff der Gemeinden schützen. Offen drohte der gestern einstimmig gewählte Obmann Toni Riser mit Kampfmaßnahmen gegen die Politik, die höchst gerichtlichen Erkenntnisse werden nicht akzeptiert. (pn)

Leitartikel auf Seite 2
Aufstand gegen den Rechtsstaat
Von Peter Nindler
Welches Recht verlangen die Funktionäre der Agrar West eigentlich? Welches Eigentum wollen sie schützen? Ihr Ausblenden der Realität und ihre Ignoranz gegenüber höchstgerichtlichen Entscheidungen macht die Diskussion so schwierig. Eines steht nämlich unmissverständlich fest: Die Übertragung von Gemeindegut an die Agrargemeinschaften war offenkundig verfassungswidrig. Denn das Eigentum aller Gemeindebürger gehörte plötzlich nur noch wenigen Privilegierten.
Da gibt es nichts herumzudeuten, auch rechtshistorische Interpretationen bis zum St. Nimmerleinstag zurück nützen nichts mehr. Schon 1982 hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) eindeutig Recht gesprochen. Doch die Politik ignorierte das Erkenntnis 26 Jahre lang. Und das, obwohl das Höchstgericht der Landesregierung Folgendes ins Stammbuch geschrieben hatte:
„Das Gemeindegut (...) ist (...) Eigentum der Gemeinde und nur insofern beschränkt, als
es mit bestimmten öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechten einiger oder aller Gemeindeglieder belastet ist, sodass die Substanz und also auch der Substanzwert und ein allfälliger Überschuss der Nutzungen der Gemeinde als solcher zugeordnet bleiben.“
Dass die Politik darauf nicht reagiert und der VP-Bauernbund noch bis 2008 das Gegenteil behauptet hatte, ist heute ein Teil des Problems. Schließlich wurden die Agrarfunktionäre gleichsam in ihrem Eigentumsbegriff bestätigt und die Kritiker als Bauernfeinde tituliert. Mit dem VfGH-
Spruch zu Mieders und den folgenden höchstgerichtlichen Entscheidungen, die vielfach zugunsten der Gemeinden ausfielen, konnte der Bauernbund diese Scheinwelt aber nicht mehr aufrechterhalten.
Die Agrarpolitik mit Bauernbundchef Toni Steixner an der Spitze steht heute für die Umsetzung des Agrargesetzes und der Höchstgerichtsentscheidungen, die Agrarbehörden leisten gute Arbeit. Doch viele Agrarfunktionäre haben diesen Schwenk nicht mitvollzogen, sie verstehen nicht, dass ihnen jahrelang etwas gesagt wurde, was heute nicht mehr stimmen soll. Statt aufzuklären, baut der Agrargemeinschaftsverband West seine Politik auf diesem Unverständnis auf. Mit allen Mitteln wird versucht, die Verfahren zu verzögern und zu torpedieren. Unrecht gegenüber den Gemeinden wird verteidigt und soll wieder hergestellt werden. Das kann doch keine Basis für eine Interessenvertretung der Bauern sein. Hier wird lediglich weiter Unfrieden geschürt.
Die Gründung eines Agrargemeinschaftsverbandes West ist ein Symbol für die Arroganz von Agrarfunktionären gegenüber dem Rechtsstaat. Und das kann keine Vertretung für die Tiroler Bauern sein.

Die >>Fotostrecke>>  in der TT (Foto: Thomas Boehm)  personifiziert das Geschehen 


Tiroler Tageszeitung, Printausgabe vom Mo, 07.11.2011 Seite 4
Agrarverband West lehnt Ansprüche der Gemeinden ab
In Mils wurde gestern die Agrar West gegründet. Obmann Toni Riser geht auf Konfrontation mit dem Land und fordert Historikerkommission. Rund 300 Agrarfunktionäre taten bei der Gründungsversammlung ihren Unmut gegenüber der Politik kund.

Von Peter Nindler

Mils – Wer gedacht hatte, es könnte nach jahrelangem Streit so etwas wie eine Entspannung an der Agrarfront geben, der wurde gestern Abend in Mils eines Besseren belehrt. Trotz zahlreicher Erkenntnisse der Höchstgerichte, die die seinerzeitigen Übertragungen des Gemeindeguts an die Agrargemeinschaften als offenkundig verfassungswidrig bezeichnet haben,
wollen die Agrarfunktionäre auf ihre Ansprüche nicht verzichten. Das machten sie bei der Gründungsversammlung des Agrarverbands West deutlich, zu der rund 300 Agrarier gekommen waren.
„Es gibt keine gesetzliche Grundlage, keinen Vertrag und keine Urkunde, aus der klar hervorgeht, dass die politische Gemeinde Eigentümerin unserer Gemeinschaftswälder und Almen geworden ist“, spricht der Obsteiger Toni Riser den Gemeinden jegliche Ansprüche auf außeragrarische Erträge der Gemeindegutsagrargemeinschaften ab. Und dies, obwohl es rund 270 Agrargemeinschaften gibt, die aus Gemeindegut hervorgegangen sind und denen laut Flurverfassungsgesetz die Einnahmen aus außeragrarischen Einnahmen (Substanzwert) zustehen. Offen sind noch die Fragen der Jagdpachterlöse und des Überlings aus Holzverkäufen. Die Gemeinden gehen davon aus, dass diese ebenfalls den Kommunen gehören, die Tiroler Agrarbehörde sieht dies anders. Derzeit wird auf die Entscheidungen der Höchstgerichte gewartet. All das wollen die Agrarfunktionäre nicht akzeptieren. Die Stimmung in Mils hat das unterstrichen. Juristisch angetrieben von Anwalt Bernd Oberhofer von der Plattform Agrar fühlt sich der Agrarverband West als Vertreter der 18.000 Agrargemeinschaftsmitglieder und „moralisch im Recht“ (Riser). Auch wenn stets das friedliche Miteinander „zum Wohle der Gemein-
den und Agrargemeinschaften“ betont wird, werden alle höchstgerichtlichen Erkenntnisse als Unfug bezeichnet und die Landtagsabgeordneten als Enteigner kritisiert.
„Der Tiroler Landtag, angetrieben von einer unglaublichen Hetzkampagne einiger Demagogen, enteignet per Gesetz uns Miteigentümer am agrarischen Gemeinschaftsgut“, richtet der Agrarverband West der Landespolitik aus. Die Agrar West will als Interessenvertretung auftreten,
den Mitgliedern Beratung anbieten und ihnen rechtlich bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche helfen. Politisch will sich der Agrarverband nicht vereinnahmen lassen und sich nicht am Landtagswahlkampf beteiligen. Vom Land wird die Einsetzung einer Historikerkommission verlangt, welche die Eigentumsgeschichte der Tiroler Gemeinschaftsliegenschaften untersucht.
Das Ende der Veranstaltung gestern Abendin Mils, bei der Toni Riser einstimmig zum Obmann der Agrar West gewählt wurde, war gleichsam der Beginn einer neuen Auseinandersetzung. Denn die aufständischen Agrarier wollen keinen Millimeter von ihrer Position abrücken.Riser:„ Wir wollen unser Eigentum erhalten und den Demagogen des Landes die Basis für Verhetzung entziehen.“
Als Gast war auch VP-Bauernbunddirektor Peter Raggl bei der Vereinsgründung vor Ort.